Trancewerkstatt Adventkalender - 1. Dezember  "Die Österreicherin und der Serbe"

Trancewerkstatt Adventkalender - 1. Dezember "Die Österreicherin und der Serbe"

1. Dezember - der Adventkalender der Trancewerkstatt öffnet seine erste Tür:
"Die Österreicherin und der Serbe"

Persönliches von mir - aus der Serie: "Geschichten können die Welt verändern!"

Für mich bedeutet Advent: Persönliche alte, vergammelte, faulige Gedanken auszusortieren und junge, frische, reife Gedanken in mir zu spüren, zu fühlen und zu verinnerlichen um sie dann frisch gewaschen und voller Strahlkraft in die Welt zu tragen. Ich bin viel gereist in meinem Leben – manchmal kopflos aber sehr oft auch wirklich mit dem Herzen. Und davon, von meinen Herzensbegegnungen mit Menschen aus anderen Kulturen und wie diese Begegnungen meine ganz persönlichen familiären Traumen veränderten, möchte ich euch in diesem Advent erzählen.

Bei meiner morgendlichen Waldrunde drängte sich heute ein Satz in meine Gedanken -

„Serbien muss sterbien“  

ein Satz, den mein von mir über alles geliebter Urgroßvater immer wieder mal aussprach. Wenn er diesen Satz sagte, glaubte er ihn selbst nicht, das spürte ich. Er sprach nicht viel über den 1. WeltKrieg, außer, dass er unglaubliche Angst vor den serbischen Partisanen hatte. Wenn überhaupt, sprach er höchstens vom 2. Weltkrieg. Er musst nicht mehr an die Front, weil er im ersten in Serbien „eingerückt war“. Er war damals 17 Jahre alt.

Zuerst wie immer etwas Geschichtliches: Erinnern wir uns:

1. Weltkrieg: Krieg der Propaganda - Serbien
Die deutsch-österreichische Propaganda sprach Serbien das Existenzrecht ab.
In der Tat war Russland im Jahr 1914 Serbiens Schutzmacht. Zugleich kam aber auch ein rassistisches Vorurteil gegenüber Russland zum Ausdruck. In der Propaganda der Mittelmächte galten die Russen nämlich als barbarisches Volk, ohne Kultur und Hygiene.
Ein jahrzehntealter Konflikt
Dabei war der Konflikt zwischen Serben und Russen auf der einen, Österreich-Ungarn auf der anderen Seite, im Jahr 1914 bereits Jahrzehnte alt. Die drei Mächte stritten um Macht und Territorien auf dem Balkan. Sie profitierten von der Schwäche des Osmanischen Reichs, das zuvor über Jahrhunderte weite Teile des Balkans beherrscht hatte, darunter auch Serbien.
(aus: dw.com, Propagandakrieg gegen Serbien)

Und nun zu meiner Geschichte: Denn, wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir zuerst wissen, wer wir selbst sind. Ohne in Schuld zu zerfließen, oder die Schuld wieder anderen zuzuspielen. Lassen wir die „Schuldfrage“ draußen, aus dem Advent, aus dem Leben und lernen wir einander kennen. Wie man so schön sagt: „Dreck hat mittlerweile jeder/jede am Stecken“. Ich unterscheide mittlerweile eher danach, ob Menschen bereit sind, sich kennenzulernen, oder nicht. Die, die es nicht sind, werden für mich zunehmend uninteressanter. Früher dachte ich, ich muss ihnen nacheifern. Ich dürfte nur existieren, wenn ich den "Schein" warte, anstatt selbst zu "Scheinen". Einzig die persönlichen Erfahrungen und Reflexionen mit Menschen verändern die Welt – und es liegt an uns, die andere Seite sehen zu wollen, oder eben nicht. Dafür braucht es aber "Sein" und nicht "Schein". Denn, wenn wir sie sehen, spüren, fühlen, unsere Gegenüber, könnte sich tatsächlich etwas verändern und das bedeutet Macht gegen Beziehungen einzutauschen. Schein gegen Sein.

Ich weiß, dies ist mein Weg, immer und immer wieder zu zeigen, wer ich bin, anderen meine Grenzen aufzuzeigen, um mir die Chance zu geben, mich zu sehen, zu spüren, meine Kraft zu leben. Die Kraft, Traumen zu transformieren. Mit dieser Kraft wurde ich geboren. Vom Grab meiner Ahnen sehe ich hinüber zum Grab der Ahnen von Adolf Hitler. Das hat mich geprägt. Und nun, mit knapp 50 Jahren weiß ich, ich muss hinaus mit meinen Gedanken. Vielleicht berühre ich damit Menschen und kann manch einen begeistern für meine Gedanken. Die stets die meinen bleiben. Viele, viele auch nicht, aber das stört mich nicht mehr, denn ich spüre. Ich muss bleiben, ich muss SEIN.

Er war 17 Jahre, mein geliebter Urgroßvater, als der 1. Weltkrieg begann, ihm war ein langes Leben geschenkt (97 Jahre)!!! Geboren 1897, ein Jahr bevor Kaiserin Sisi ermordet wurde! Er war 19 Jahre, als Kaiser Franz Josef starb. Als mein Urgroßvater starb, war ich 20 Jahre alt.

Er wuchs auf mit der Propaganda gegen die Serben. Obwohl er immer betonte, nichts gegen die Serben zu haben, weil er sie nicht wirklich kannte. Das hat mich stets beeindruckt und diese Worte sind in mir gespeichert wie auch seine Liebe. Aber er hat gemordet. Er sprach nicht darüber, aber es war klar. Es war Krieg. Schießen oder erschossen werden. Wie schwachsinnig. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass die Intelligenz und das geschichtliche Wissen einfach nicht ankönnen gegen die Hass-Gefühle die die jahrzehntelange Propaganda in uns Menschen verursacht hat, die seit Generationen in unseren Köpfen wuchert. Mal stärker die einen, mal stärker die anderen. Mal die Franzosen mit ihrem blutrünstigen „Bonaparte“ oder die „Russen“ mit ihrem Stalin oder eben die Serben, mit ihrem… äääääähhhhmmm. Ach ja, ihrem Mörder, der UNSEREN Thronfolger ermordete usw. usf.

Und nun zu meiner ganz persönlichen Erfahrung mit „DEM SERBEN“ der so viel "Unheil über Österreich" und die Welt brachte.
(ACHTUNG: Es sind meine ganz persönlichen Erfahrungen und Gedanken, die stets mit einer gehörigen Portion Ironie und Sarkasmus angereichert in mir ihren Ausdruck finden – bitte dies zu beachten!!! Ich sehe weder die Österreicher noch die Serben als gut oder böse. Denn ich weiß, wir sind alle gut und böse, je nachdem ob wir uns in die Traumen hineinziehen lassen, oder nicht…)

Vor etwa 20 Jahren fuhr ich mal mit dem Nachtzug von Belgrad nach Wien. Es war Jänner. Mein Mann arbeitete damals an einem Projekt in Serbien und ich besuchte ihn übers verlängerte Wochenende. Ich liebte diese Besuche in Serbien. Belgrad erlebte ich stets als Zentrum der Lebensfreude. Trotz der Kälte (Minus 17 Grad C) damals spürte man überall die Lebensfreude, ich mag die „lauten Menschen“ dort, sie Lachen, Feiern, Smalltalken mit kleinen Witzchen. Es ist ansteckend. Ich habe mich immer wohlgefühlt, wenngleich das Hotel einem ehemaligen „Bordell“ glich. Nicht nur die Menschen, auch die Natur war dort irgendwie anders. Ich nahm sie wahr, in der Stadt und mitten im Winter. Ich kann mich erinnern, dass ich ständig das Bedürfnis hatte, Bäume und Sträucher zu bestimmen – was sonst in Städten nicht so mein „Ding“ ist. Ja, ich nahm das Leben wahr.
Nach einem Wochenende voller Leben und Lebendigkeit stieg ich in den Zug ein. Der Schlafwagen konnte nicht bezogen werden, weil die Heizung defekt war. Mir stand somit eine Nacht im „Sitzen“ bevor. Zudem war der Wagon komplett überfüllt. Aber ich war jung und ich freute mich auf das Abendteuer. Ich suchte mir einen Platz in einem Abteil bei Jugendlichen. Es war wiederum extrem lustig und lebendig, allesamt Studenten aus Novi Sad, die übers Wochenende zuhause waren. Doch diese stiegen in Novi Sad, dem letzten Stop vor der ungarischen Grenze aus. Es war ein Fehler, oder eine Chance? Im Nu fand ich mich in meinem Abteil umgeben von ca. 40-Jährigen serbischen Männern, die am Weg nach Österreich waren. Es war wie in einem Albtraum. Gerade noch Leben, Leichtigkeit, Freude und nun Angst, Stille, Ungewissheit. Ich wollte flüchten, aber der gesamte Wagon war voll, es gab nur einen. Ich beruhigte mich damit, dass, sollte einer der Männer übergriffig werden, der gesamte Wagon es hören würde, wenn ich schrie. Trotzdem war jegliche Leichtigkeit, die ich an diesem Wochenende in mir aufgenommen hatte in kürzester Zeit verschwunden. Oder stärkte mich diese tiefe Verbundenheit zum Leben, mich meinen Aufgaben zu stellen, die mir das Leben in dieser Nacht offenbarte?
Ich stellte mich schlafend, wenngleich ich wusste, ich würde die ganze Nacht ohne Schlaf auskommen müssen. Ich war auch hellwach. Mein Körper hatte den Alarmmodus eingestellt und versorgte mich mit Adrenalin, das mich wachhielt. Ich versuchte zu erspüren, wer sie waren und warum sie mir Angst machten. Bilder vom Film: „Bangkok Hilton“ kamen in mir hoch. Eine Frau, die im Hotel einen Mann kennenlernte, der ihr Drogen ins Gepäck schmuggelte… ich war sicher, dies waren Typen von der Drogenmafia. Irgendwann musste ich dann aufs WC. Ich hatte aber Angst, dass mir diese Männer Drogen in den Rucksack steckten, während ich weg war. So begann ich, nachdem ich zurückkam, meinen Rucksack vor ihnen auszuräumen und tat so, als würde ich etwas suchen. So kamen wir dann ins Gespräch. Der Mann mir gegenüber fragte mich, woher ich kam und was ich machte. Ich erzählte Halbwahrheiten. Er war aber voller Respekt und irrsinnig beeindruckt, dass ich Psychologin war. Wir unterhielten uns sicherlich über zwei Stunden. Eigentlich ein gutes Gespräch. Auch wenn ich merkte, dass es sinnlos war, nach Details zu fragen, er hatte in Österreich ziemlich überall gelebt, aber hatte Familie in Oberösterreich, keine Ahnung ob das stimmte. War auch egal. Denn ich spürte ihn, den Ober Boss der Truppe, den Serbenboss. Er war mir nun irgendwie vertraut, ich denke auch er spürte das Vertrauen. Nicht das Vertrauen in die alltäglichen Wahrheiten, sondern das Vertrauen in die „Wahrheit der Seele“. Ich spürte den „wahren Kern“ in ihm. Den Wunsch, einen Platz auf dieser Welt zu haben, Leben zu wollen, gut leben zu wollen. Freiheit, Stabilität, gute Beziehungen zu haben. Den Wunsch spürte ich für ein paar Momente. Das tat gut und ließ mich entspannen. Die Angst vor dem „Serben“ war verschwunden. Wir konnten uns „Sein“ lassen, mussten auch nicht mehr reden. Er zündete sich eine Zigarette an, es war ca. 3 Uhr in der Früh. Ich weiß noch ganz genau, wie ich zu ihm auf Deutsch – er konnte sehr gut Deutsch – sagte: „Ich bitte Sie das Rauchverbot zu beachten. Ich bekomme von Rauch Kopfschmerzen.“ Er sagte nichts und ging hinaus aus dem 6er Abteil, um zu rauchen. Als er draußen war, sagte der Mann neben mir, der ebenso wie der Rest der Truppe zuvor kein einziges Wort mit mir gewechselt hatte: „YOU ARE A VERY LUCKY WOMAN!“. Nun wurde mir ohne Rauch schlecht. Er meinte unmissverständlich, dass sein Boss sich sonst von niemandem etwas vorschreiben lasse. Ich hatte das Gefühl, nun war der Zeitpunkt, von meinem Großvater zu erzählen. Als er wieder hereinkam, auch er konnte nicht schlafen, begann wieder ein Gespräch. Ich erzählte ihm, dass mein Urgroßvater in Serbien gekämpft hatte und dass es doch endlich aufhören sollte das ganze Morden. Dass es mir leidtat, dass Männer auf beiden Seiten benutzt wurden, um für Territorien zu kämpfen… er bedankte sich dafür, dass ich das so sehen würde.
Die respektvolle Annäherung zwischen dem Serben und mir fand auf ungarischem Boden statt. Es war fast ein wenig kitschig, so wie in einem Sisi-Film kam ich mir manchmal vor. Der „Böse“ und die „Prinzessin“, aber er Sexualisierte nicht, nahm mich nicht als „Opfer“ war und wurde dadurch auch nicht zum Täter. Es konnte etwas heilen. Es heilt noch immer, wenn ich an ihn denke. Ich denke, er war dann doch ein wenig überfordert von so viel heilsamer Energie.
Ich war ja nicht in einem Constantin-Film als Schauspielerin engagiert worden. Ich wurde als Traumatherapeutin in die Welt gesetzt. Die Realität, wer er war und welches Trauma er in sich trug, zeigte sich dann aber doch noch in aller Härte. Das war aber nicht mein Trauma, sondern seines. Er musste seine Macht vor mir demonstrieren, kurz vor der Österreich-Ungarischen Grenze ließ er kommentarlos die Euro-Geldschein-Pakete in die Hände der "Statisten" gleiten. Ich war also mittendrin im serbischen Geldwäscheautomaten. Frisch gedruckte 50er und 100er. Wie im Film „Tatort“. Daraufhin bekam ich es doch wieder mit der Angst zu tun. Das war seine Realität. Ich ertappte mich noch Wochen später bei dem Gedanken, was wäre, wenn er mir doch etwas ins Gepäck gesteckt hatte, unzählige Male durchforstete ich meinen Rucksack. Ja, es blieb ein Nachgeschmack, wenn ich an ihn denke. Aber das war seine Realität und es ist die Realität in Europa. Viele Serben machen krumme Geschäfte. Auch eine Wahrheit, die man nicht leugnen darf. Ich habe natürlich auch überlegt, zur Polizei zu gehen, doch die Angst war zu groß. Ich fühlte mich außerdem nicht gewachsen, mich als Einzelperson, als Frau mit der Falschgeld-Blütenmafia anzulegen. Meine Angst verabschiedete sich aber eines Tages ganz von selbst. Dann, als ich realisierte, dass ich leben darf, weil ich es mir zugestehen konnte, er aber immer noch ums „Überleben“ kämpft. Als Serbe. Auch er müsste nicht.

Serbien das Land der Lebendigkeit und Lebensfreude – es tut mir leid, dass euch meine Vorfahren das Existenzrecht absprachen! Das ist NICHT MEIN Wille – ich steige aus, wie auch schon damals, als ich Dir, Herr Serbe im Zug gegenübersaß. Du, als Serbe, ich als Österreicherin. Das war keine Liebesgeschichte, kein Kitsch. Das war eine Realität, die Angst war meine Realität, die Frage um die Existenzberechtigung war deine Realität!! Ich blieb in meiner Kraft als österreichische Frau, du in deiner Kraft als serbischer Mann. Unsere Seelen haben sich einen Moment kennengelernt und ich weiß, dadurch begannst du zu spüren, dass heute dieser Satz eine Vergangenheit ist. Dass du leben darfst, dass auch das nicht mehr dein Trauma ist. Auch du kannst jederzeit aussteigen aus dem Blüten-Druckgeschäft, die mir Angst macht, weil du dadurch dein wahres Ich verkaufst, vielleicht bist du es ja schon. Ich wünsche es dir. Diese Angst war die Realität unserer Großeltern, nicht unsere! Beenden wir sie. Vielleicht denkst du manchmal an unsere Begegnung, vielleicht. Ich denke manchmal daran und ich denke, dass bei einer neuerlichen Begegnung ich dir sagen würde, dass du nicht das Recht hast, mir Angst zu machen, weil du meine Seele kennengelernt hast, für einen kurzen Moment. Dass wir einander auf Augenhöhe, als Europäer begegnet sind. Ich halte ebenso wenig von Machtdemonstration, so wie du es mit mir gemacht hast. Das fand ich schade. Das schürt nur weiter Angst. Ich konnte sie loslassen die Angst, deine Angst. Aber viele können das nicht. Da stehen wir. Weil die Kehrseite deiner Angst auch immer noch hier in Österreich wütet. Die Angst, dass Ihr euch rächt, an uns, an der Welt. Angstfreie Begegnungen, das brauchen wir und das - und nur das verändert die Welt.

Eure Claudia Füreder